ALVIN

 
[ 19 ]
 
Platinum Unlimited Special Edition
 
matt
26.11.01
6 Uhr morgens. Schweissgebadet schreckte Alvin aus dem Schlaf auf. So einen verworrenen Schwachsinn hatte er schon lange nicht mehr geträumt. Das Abendessen war aber auch sehr reichlich gestern abend. Der erste Teil des Traumes war ja noch sehr schön, ein erotischer, sehr emotionaler Traum, in den das junge Mädchen, das er gestern Abend angesprochen hatte, irgendwie involviert war. Als ob!
Aber danach war es nur noch verworrenes Zeug - Alvin erinnerte sich schwach an psychedelische Nussgipfel, Gummiboote, Höllenfeuer und Sintfluten. Aber noch während Alvin versuchte die Puzzlesteine des nächtlichen Traumes zusammenzusetzen verblasste die Erinnerung daran innert Sekunden. Sein Gehirn versenkte die Traumstücke unglaublich zügig in die unerreichbaren Tiefen seines Unterbewusstseins (oder waren sie gar für immer vergessen?). Vielleicht besser so.
Unter der Dusche fasste Alvin einen Entschluss: Er musste weg hier! Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihn die Medienmeute entdecken und gnadenlos hetzen würde. Und die ganzen enttäuschenden Frauengeschichten fingen auch an, ihm zuzusetzen. Er hatte die Nase voll.
Nach dem Frühstuck - Julika von gestern abend war nirgends zu sehen - liess er sich ein Taxi kommen. Der Taxifahrer weigerte sich erst, nach Zürich zu fahren, aber nachdem ihm Alvin 500 Franken zugesteckt hatte ging's los. Nach einem kurzen Zwischenhalt in seiner Wohnung, wo Alvin seinen Pass holte, ging's weiter zum "internäschonäl Höbb Ärport Unique Zurich". Früher war das mal der Flughafen Kloten.
In der CS-Filiale am Flughafen schob Alvin seine Kreditkarte über den Tresen - Visa Platinum Unlimited Special Edition. Die hatten sie ihm damals ungefragt zugeschickt, nachdem eines Tages plötzlich 26 Millionen auf sein Lohn-Kontokorrent krachten. Danach hatte praktisch täglich ein Bank-Heini angerufen und wollte ihn zwangsberaten.
50'000 in grossen Scheinen in der Jackentasche fühlten sich eigentlich recht gut an. Jetzt noch schnell eine Zahnbürste und zwei sportlich moderne Anzüge von Armani gekauft (der Typ im Laden war jetzt auch nicht sicher, ob man "Giorgio" oder "Dschordscho" sagen musste).
"Wohin möchten Sie fliegen", fragte ihn der höfliche Mann am Ticket-Schalter der Lufthansa. Alvin hatte diese Reportage am Fernsehen gesehen (Kabel 1). Es gab da eine Stadt in der Wüste. Sie war riesig, sie war absurd, sie war anonym. Genau, was Alvin jetzt brauchte.
"Las Vegas. One way. Erste Klasse. Gleich." Alvin blätterte die 6700 Stutz bar auf die Theke. Las Vegas, das war die Stadt in deren Adern Geld, Sex und Drogen pumpten, 24 Stunden am Tag. In dieser Stadt war Geld nicht einfach ein Zahlungsmittel, Geld war hier ein Rohstoff, der täglich verarbeitet, veredelt, umverteilt, gewonnen und gehandelt werden musste. Las Vegas war eine Art Vorschau wie die Welt einmal sein würde, wenn der letzte verschämte Anspruch auf Moral, Mitmenschlichkeit und Kultur endlich vergessen sein würde. Für Geld konnte man in dieser Stadt einfach alles haben, deshalb waren dort soviele Menschen versammelt, die zwar kein Leben hatten, es sich aber leisten konnten eines zu kaufen. Menschen wie Alvin.
Alvins Englisch war zwar nicht so "great", aber er hatte ja mehr als genug Cash, und diese Sprache verstand man schliesslich überall.
Voller Erwartung und erleichtert, die ganzen Verwirrungen hinter sich zu lassen, lehnte sich Alvin in seinem feudalen Sessel zurück und liess sich vom Flight Attendant das erste Glas Champagner reichen.
Alvin war bereit: Das pralle Leben konnte jetzt beginnen.

 
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